Was ist Schmerz, wie entsteht er und was können Sie selbst tun?

Mit dieser Überschrift werden sich wahrscheinlich viele von Ihnen angesprochen fühlen. Jeder von Ihnen hat sicher mindestens einmal im Leben Schmerz empfunden. Wenn nicht, dann gehören Sie zu einer sehr seltenen Spezies, denn dann fehlt Ihnen ein wichtiger Mechanismus, der Ihren Körper schützt.

Was tun Sie, wenn Sie Schmerz empfinden?

Nehmen wir ein Beispiel:

Das Frühjahr hat begonnen und Sie haben den ganzen Tag damit zugebracht, den Garten umzugraben. Abends sitzen Sie auf der Couch. Der Rücken schmerzt, die Hände tun weh und Ihr Nacken fühlt sich auch an, als hätten sie einen Aufprall mit einem LKW erlebt.

Die meisten von Ihnen werden wahrscheinlich in eine Art Schockstarre verfallen, sich schonen und sagen, dass sie für die nächsten Tage nichts körperliches tun können. Überdenken aber nicht, dass sie die Gartenarbeit vielleicht nur an ihre körperliche Gegebenheiten anpassen müssen.

Der Großteil unserer Patienten kommt zu uns in die Praxis und berichtet von diversen Schmerzen. Meistens sind es Aussagen wie: » Mein Becken ist verschoben und darum schmerzt mein Ischias« oder »Meine Halswirbelsäule ist nicht grade und deshalb hab ich Kopfschmerzen« oder, auch häufig der Fall »Wenn ich diese oder jene Bewegung mache, dann tut das da weh. Ich darf diese Bewegung nicht mehr machen.«

Was ist Schmerz?

Zunächst das Wichtigste:

Alle Ihre Schmerzen sind real. Schmerzen sind immer real, völlig egal, was die Schmerzen ausgelöst hat.

Wir nehmen Ihre Schmerzen ernst. Lassen Sie sich also nicht abwimmeln mit der Aussage, dass es nicht sein kann, dass es irgendwo weh tut.

Schmerz ist allerdings kein Messsystem, das Ihnen sagt, wie blockiert ein Wirbel oder wie die Spannkraft eines Muskels ist.

Schmerz ist immer ein Schutzmechanismus Ihres Gehirns, der Sie vor all möglichem bewahren möchte.

Zugegeben, das klingt sehr ähnlich. Es sind aber zwei völlig unterschiedliche Aussagen.

Schmerz möchte Sie schützen vor Überanstrengung. Schmerz möchte Sie bewahren vor zu wenig oder einseitiger Bewegung, zu wenig Schlaf oder zu wenig Ruhe, vor schlechten Ernährungsgewohnheiten oder sogar vor der Schwiegermutter. (Wer kennt Sie nicht, die hämmernden Kopfschmerzen und das Magenziehen, wenn sich die Schwiegermutter fürs verlängerte Wochenende ankündigt?)

Einfach ausgedrückt, ist der Schmerz nach der Gartenarbeit die Antwort darauf, dass Sie nach dem langen Winter im Garten Muskeln beansprucht haben, die Sie sonst sehr selten nutzen, und bevor Sie am nächsten Tag auf die irrwitzige Idee kommen, genauso weiterzumachen und sich dabei womöglich verletzen, denkt sich Ihr Gehirn: Sende ich doch mal ein wenig Schmerz aus, dass Du morgen ein wenig Deine Arbeit an Deinen Körper anpasst. Mach es dir leichter.

Ein Beispiel für Schmerz als Schutzmechanismus:

Violinisten haben nachgewiesenermaßen schmerzempfindlichere Fingerkuppen an der linken Hand. Das sind die Finger, die die Saiten drücken. Man könnte annehmen, dass diese vom Drücken auf die Seiten viel weniger schmerzempfindlich sein müssten. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass dem nicht so ist. Das ist der Tatsache geschuldet, dass das Gehirn diese Fingerkuppen schützen möchte, die für den Violinisten wichtig sind.

Egal, was Ihrem Gehirn wichtig erscheint, geschützt zu werden, lässt Schmerz verstärken. Egal, was Ihrem Gehirn NICHT wichtig erscheint, lässt keinen großen Schmerz entstehen.

Verletzte Strukturen stehen nicht in Relation zum Schmerz

Wenn Sie sich jemals den Knöchel verletzt haben, werden Sie wissen, dass bereits nach ungefähr zwei Wochen die Schmerzen abebben. Die Strukturen um Ihren Knöchel herum brauchen allerdings ungefähr sechs Wochen, bis sie wieder geheilt sind. Wenn Strukturen, seien es Muskeln, Sehen oder Bänder also Schmerz aussenden könnten, dann dürfte der Schmerz nicht nach zwei Wochen bereits deutlich weniger oder gar ganz verschwunden sein.

Patient kurz nach OP mit deutlicher Schwellung und Blutergüssen, Patient hatte kaum noch Schmerzen zu diesem Zeitpunkt, Foto: Christina Sattler

Ein weiteres Beispiel, dass das Ausmaß der strukturellen Veränderung nicht in Relation zum ausgesendeten Schmerz steht:

Bei einem Großteil der Bevölkerung im Alter zwischen 40 und 50 Jahren werden beim MRT degenerative Veränderungen der Wirbelsäule festgestellt, also dem Alter entsprechende »Abnutzungen«. Aber nicht jeder dieser Menschen hat deswegen Schmerzen im Rückenbereich.

Schmerzen stehen nicht in Relation zum auslösenden Ereignis

Sie können heftigste Schmerzen haben, ohne eine gleichermaßen heftige Verletzung zu haben. Denken Sie an den Ellenbogen, den Sie sich sicher schon einmal gestoßen haben. Sie haben eventuell heftige Schmerzen, aber die Verletzung ist nicht groß.

Wie entsteht Schmerz?

Über freie Nervenenden werden Informationen über das Rückenmark ans Gehirn gesendet. Diese Nervenenden sitzen in der Haut, aber auch in Gelenkkapseln und Organen. Es gibt schnelle Leitungen in diesem System und langsame Leitungen zum Gehirn.

Diese Nervenenden reagieren auf mechanische Reize, wie zum Beispiel den Hammer auf dem Daumen, auf thermische Reize (Hand auf Herdplatte), aber auch auf chemische Stoffe (z.B. nach Verletzungen oder Entzündungen freigesetzte Stoffe). Ebenso sind sie mit motorischen Nervenfasern gekoppelt, so dass Sie im Falle der Hand auf der heißen Herdplatte auch schnell reagieren und die Hand wegziehen können.

Zum Zeitpunkt des Zurückziehens der Hand empfinden Sie aber noch keinen Schmerz. Probieren Sie es nicht aus, glauben Sie es einfach in dem Falle. Die Information, die Ihre Nervenenden nämlich losgeschickt haben, werden erst im Gehirn als Schmerz interpretiert und erst dann nehmen Sie einen Schmerz wahr.

Also ist es ein Segen, dass wir Schmerzen empfinden und können dankbar dafür sein, dass uns der Schmerz davor bewahrt, immer und immer wieder die Hand auf die heiße Herdplatte zu legen oder andere Dummheiten zu machen, die schädlich für uns sein könnten.

Schmerzen werden subjektiv empfunden

Erinnern Sie sich nochmal an den gestoßenen Ellenbogen.

Fall 1:

Sie kommen grade aus dem Wellnessurlaub, sind völlig entspannt und möchten ein Glas aus dem Schrank nehmen. Dabei stoßen Sie sich Ihren Ellenbogen unglücklich an der Schranktür. Es tut kurz weh, Sie halten inne, beißen die Zähne aufeinander und der Schmerz ist nicht mehr ganz so schlimm.

Fall 2:

Sie kommen völlig gestresst von der Arbeit, Ihr Chef hat Ihnen ein paar Extrastunden aufgebrummt, alles, was schief laufen kann, ist schief gelaufen, zu Hause ist das absolute Chaos ausgebrochen.

Sie haben Durst, nehmen ein Glas aus dem Schrank und stoßen sich den Ellenbogen unglücklich an der Schranktür. Sie brüllen laut, der Arm tut weh, als hätte Ihnen jemand den Arm mit dem Küchenmesser amputiert, der Schmerz hält an und Ihnen schießen die Tränen in die Augen.

Sie sehen, dass in beiden Fällen das gleiche passiert ist. Die gleiche Reaktion ist in Ihrem Körper abgelaufen. Die Nervenenden haben ihre Information übers Rückenmark an das Gehirn gesendet. Der komplette Ablauf ist der gleiche und trotzdem empfinden Sie den Schmerz situationsabhängig unterschiedlich. Ein weiteres Beispiel dafür, dass der Schmerz nichts darüber aussagt, wie groß Ihre Verletzung ist.

Was bedeutet das also für Sie?

Versuchen Sie, sich vom Gedanken zu lösen, dass ein verschobenes Becken oder ein vermeintlich verkürzter Muskel Ihnen Schmerzen bereitet. Und bitte verfallen Sie nicht in Schockstarre und bewegen sich nicht mehr.

Arbeiten Sie mit dem gerade gelernten Schutzmechanismus zusammen, damit Sie Ihre Schmerzen loswerden.

Sie denken, dass Ihr Becken verschoben ist, weil es sich für Sie so anfühlt. In Wahrheit ist Ihr Becken stark und verschiebt sich nur in äußerst seltenen Fällen, z.B. Motorradunfälle, Autounfälle, Sprünge aus hoher Höhe. Es sind vielleicht die Muskeln, die nicht ausreichend trainiert sind, um diversen Belastungen standzuhalten, oder einseitige Aktivitäten, die Ihnen das Gefühl geben, dass da was verschoben ist. Es fühlt sich für Sie so an. Etwas klemmt, etwas zwickt, etwas zieht oder sticht.

Alles, was Ihr Gehirn Ihnen aber sagen möchte ist vielleicht:

»Du hast zu lange in ein und derselben Position verbracht, es wird Zeit, dass Du Dich bewegst und Deine Muskeln mit Sauerstoff versorgst.«

Oder: »Du schläfst seit Wochen zu wenig, ich brauche eine Ruhephase. Gönne Dir mehr Schlaf und Erholung und ich belohne Dich mit Schmerzfreiheit.«

Oder: »Deine Verletzung liegt lange zurück. Du musst Deinen Fuß nicht mehr schonen.«

Oder: »Du trainierst immer wieder die gleiche Muskelgruppe. Damit Dein Körper aber funktionieren kann, musst Du auch mal die anderen Muskeln trainieren, um das auszugleichen.«

Im Fall der Schwiegermutter könnte die Lösung heißen: »Stress Dich nicht so, Du änderst Sie nicht, mach alles wie bisher und lass Dich nicht ärgern. Sei Du selbst und steh drüber.«

Hören Sie also in sich rein, versuchen Sie zu überprüfen, was der Schmerz Ihnen mitteilen möchte, finden Sie gemeinsam mit Ihrer Therapeutin oder Ihrem Therapeuten einen Weg, auf die Warnung Ihres Gehirns zu reagieren und arbeiten Sie dann aktiv an Ihrer schmerzfreien Zukunft.

Zum Schluss noch ein Patientenbeispiel:

Ein junger Handballer kam zu uns mit der Aussage, dass seine Schulter schmerzt. Er sagte, wenn er den Arm nach vorne anhebt, oder wenn er den Arm nach außen dreht, hat er Schmerzen. Also verzichtete er auf seinen Sport und vermied Aktivitäten, bei denen er den Arm anheben oder nach außen drehen musste. Nach eingehender Untersuchung und einem kurzen Gespräch über seine sonstigen Aktivitäten stellte sich heraus, dass er kurz bevor die Schmerzen auftraten, mit Training im Fitnessstudio gestartet hatte. Verschiedene Tests zeigten, dass seine rückwärtige Schultermuskulatur sehr stark war. Die vordere Schultermuskulatur aber Defizite aufwies. Auf die Frage, ob er auch diese Muskulatur trainieren würde, sagte der Patient, dass er nur die Rückenmuskulatur und die rückseitige Schultermuskulatur trainiert hätte und jetzt aufgrund der Schulterschmerzen gar nicht mehr trainieren würde. Wir haben also begonnen auch die vordere Schulter- und Brustmuskulatur zu trainieren und auf die Bedürfnisse des Handballsports abzustimmen. Zunächst mit leichten Übungen und Krafttraining, dann mit jeder Behandlungseinheit steigernd. Nach wenigen Behandlungen war der Patient schmerzfrei. In diesem Fall war der Schmerz die Information des Gehirns die Schulter zu schützen, weil die Muskulatur nicht ausreichend trainiert für die Belastung des Handballsports war.

Text: Christina Sattler

Fotos: Pixabay & Physiotherapie Sattler

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